„Mir ist es grundsätzlich egal, was mein Pferd in seiner Freizeit macht“, erklärte jüngst eine bekannte Reiterin. Sie meinte es sicher nicht so, wie in diesem Zusammenhang zitiert. In jedem Fall ist es sehr wichtig zu wissen, wie Ihr Pferd seine „Freizeit“ verbringt. Auswirkungen auf Leistung und Verhalten lassen sich so erklären.
Zitat Kiki Kaltwasser, GHP Arbeitsbuch
Dieser Abschnitt spiegelt die Realität treffend wider. Viele Pferdebesitzer machen sich keine Gedanken darüber, was ihr Pferd den ganzen Tag macht, welche Bedürfnisse es hat und ob ihre Haltung diesen Bedürfnissen entspricht.
Die folgenden Zahlen (laut einer Studie) zeigen, wie Pferde ihre Zeit in verschiedenen Haltungsformen verbringen:
Wildhaltung | Laufstall | Box, Stroh und Heu ad lib. | Box, kein Stroh, Heu rationiert |
Sonstiges 10% | Sonstiges 10% | Sonstiges 3% | Sonstiges 0% |
Liegen 10% | Liegen 10% | Liegen 10% | Liegen 16% |
Stehen 20% | Stehen 23% | Stehen 40% | Stehen 68% |
Fressen+Laufen 60% | Fressen+Laufen 57% | Fressen 47% | Fressen 16% |
Bewegung
Das Pferd, ein Lauftier, legt in der freien Wildbahn innerhalb von 16 Stunden bis zu 50 Kilometer im Schritt zurück und grast dabei fortlaufend.
Studien zufolge werden Hochleistungspferde etwa 2 Stunden pro Tag und Freizeitpferde nur 1,5 Stunden pro Tag bewegt. Die Qualität der Bewegung ist entscheidend, denn das Pferd ist ein Schritttier. Eine schnelle Bewegung in Trab und Galopp, gefolgt von der Rückkehr in die Box, ist keine gesunde und zufriedenstellende Bewegungsform für das Pferd.
Sozialverhalten
Pferde zeichnen sich durch ein starkes Sozialverhalten aus und leben in stabilen sozialen Strukturen. Diese Gruppen setzen sich normalerweise aus bis zu sechs ausgewachsenen Stuten, deren Nachwuchs und einem ausgewachsenen Hengst zusammen. Junge Hengste formen Junggesellengruppen, bis sie ihre eigenen Verbände aufbauen können. Innerhalb der Gruppe herrscht eine klare Hierarchie, die einmal festgelegt wird, sowie dauerhafte Freundschaften zwischen einzelnen Tieren.
Verhaltensforscher sind der Meinung:
„Die Einzelhaltung von Pferden steht in krassem Widerspruch zu deren ausgeprägtem Sozialverhalten. Obwohl die heute übliche Gestaltung von Pferdeboxen mit Gitterabtrennungen, teilweise mit Luken in den Frontwänden, ein Mindestmaß an Kontakt mit Boxennachbarn auf optischem Wege zulässt, kann diese bei reiner Boxenhaltung die komplexen Ansprüche eines Pferdes auf keinen Fall befriedigen.“
Fressverhalten
Das Pferd, ein typischer Pflanzenfresser, ist anatomisch auf den Verzehr großer Mengen ballaststoffreicher, aber energiearmer Nahrung ausgelegt. Unter natürlichen Bedingungen frisst es bis zu 16 Stunden täglich im Schritt.
Intensiv genutzte Pferde benötigen mehr Energie, die durch konzentriertes Futter bereitgestellt wird. Üblicherweise erhalten sie zwei bis drei Mal täglich größere Mengen Kraftfutter, was oft Verdauungsprobleme wie Koliken oder Magengeschwüre verursacht. Dies beeinträchtigt auch das Zeitmanagement des Pferdes erheblich, da die kurzen Fressperioden zu viel ungenutzter Zeit führen, was Verhaltensstörungen auslösen kann.
Das Ausscheidungsverhalten ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt des normalen Verhaltens von Pferden. Kot und Urin dienen nicht nur der Entfernung von Stoffwechselprodukten, sondern auch der Kommunikation. Bei Hengsten ist ein Markierverhalten durch Kotabsatz erkennbar. Der Urin der Stute liefert Informationen über ihren Zyklusstatus, sodass Hengste die Paarungsbereitschaft feststellen können.
Paarungsverhalten
Pferde haben ein komplexes Paarungsverhalten. Rossige Stuten suchen die Nähe zu Hengsten und zeigen durch das sogenannte Blitzen und häufiges Urinieren ihre Paarungsbereitschaft an. Die Hengste beknabbern und belecken die Stuten. Der intensive Kontakt der Duftstoffe der Stuten führt zum Ausschachten des Penis. Der Deckakt findet während der Hochrosse mehrmals täglich statt.
Unter modernen Haltungsbedingungen findet ein, wenige Minuten dauernder, Deckakt oder die künstliche Spermagewinnung statt. Das führt zu Problemen im Sexualverhalten von intensiv genutzten Deckhengsten.
Normalverhalten im Fohlenalter
Das natürliche Verhältnis zwischen Stute und Fohlen beginnt bei der Geburt und endet gewöhnlich mit dem Absetzen durch die Mutterstute bis zum Jährlingsalter. Die Entwöhnung erfolgt allmählich, wobei sich der Aktionsradius des Fohlens erweitert und die Abwesenheitszeiten der Mutter länger werden.
Im Gegensatz dazu steht das abrupte Absetzen des Fohlens mit sechs Monaten. Es stellt eine erhebliche Belastung dar, besonders wenn die Fohlen nicht in Gruppen mit ihnen bekannten Artgenossen aufgezogen werden.
Fluchtverhalten
Die typische Reaktion von Pferden auf Gefahr ist die Flucht. Nur wenn Fliehen nicht möglich ist, greifen sie durch Beißen und Schlagen an. Normalerweise halten sie eine Fluchtdistanz von etwa 80 bis 100 Metern ein, die sich in offenem Gelände auf bis zu 800 Meter erhöhen kann. Die kritische Distanz ist der Abstand zwischen der Gefahr und dem zur Flucht unfähigen Tier, bei dem das Pferd zum Angriff übergeht.
Komfortverhalten
Pferde zeigen ebenfalls Komfortverhalten, welches das körperliche Wohlbefinden steigert. Dazu gehört die solitäre Körperpflege, wie beispielsweise das Kratzen mit den Hinterhufen, das Scheuern an festen Objekten oder das Wälzen, sowie die soziale Körperpflege, die gegenseitiges Reiben und Knabbern umfasst. Beide Verhaltensweisen sind für das Wohlbefinden und die Verhaltensmuster des Pferdes von großer Bedeutung.
Schlafverhalten
Selbst in Ruhephasen bleiben Pferde fluchtbereit. Dösen ist nur ein Teil des Pferdeschlafs; sie erleben auch Tiefschlafphasen. Pferde schlafen insgesamt etwa fünf Stunden pro Tag, verteilt auf mehrere Schlafphasen, wobei Dösen und Slow-wave-Schlaf zusammen nur rund zwei Stunden ausmachen. Pferde legen sich nur in vertrauter und sicherer Umgebung nieder.
In Gruppenhaltung übernehmen einige Tiere die Wächterrolle, während die meisten anderen liegen.
Der REM-Schlaf, also die Tiefschlafphasen, ist für die psychische Erholung von großer Bedeutung, da in diesen Phasen keine Ruhe der Hirnfunktionen zu beobachten ist.
Bei der Pferdehaltung muss darauf geachtet werden, dass diese Schlafphasen ermöglicht werden, indem eine ausreichende Liegefläche und eine ruhige Atmosphäre, besonders nachts, sichergestellt werden.
Fazit
Wenn die Grundbedürfnisse oder das typische Verhalten von Pferden stark beschränkt oder unterbunden werden, können ernsthafte Verhaltensprobleme und Krankheiten entstehen. Oftmals werden die Symptome nicht oder erst zu spät wahrgenommen.
Daher ist es für Pferdebesitzer und Pferdebesitzerinnen wichtig, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, angefangen bei der Wahl einer angemessenen Haltungsform und eines geeigneten Stalls.
Ein HIT-Aktivstall oder ein gut geleiteter Offenstall mit Elementen wie einem Paddocktrail kann den Bedürfnissen eines Pferdes sehr gut entsprechen.
Auf diese Weise lassen sich die Risiken für Krankheiten (insbesondere des Verdauungstraktes) sowie für auffälliges Verhalten oder Verhaltensstörungen deutlich verringern.
Besonders in der Zucht und Aufzucht von Fohlen sollte das natürliche Verhalten beachtet werden, da die Fohlenzeit eine prägende Entwicklungsphase darstellt, die das Pferd sein Leben lang beeinflussen kann.